Themenschwerpunkt 2022

Das italienische Filmfestival nimmt eine ausschließlich historische Perspektive auf das Kino ein. Im Kern steht das Kinoerlebnis als kulturelle Praxis und entscheidende Wissensquelle. Die vielen gefundenen und restaurierten Werke werden unter dem Motto „Jede Projektion ist anders“ Gegenstand von Retroperspektiven und bilden eine eigene Kunstform. Ein Filmfestival hat jederzeit etwas Einzigartiges an sich, da die einzelnen Vorführungen nicht reproduzierbare Ereignisse darstellen.

Die kulturelle Bedeutung des Filmfestivals ergibt sich aus dem Fokus auf das Vergangene und dessen Wiederfinden in der Gegenwart. Die Zielgruppe des Festivals sind Cinephile, die sich der Filmgeschichte außerhalb von Hollywood und dem Kampf um Relevanz widmen möchten. Die drei Schlüsselworte für das Il Cinema Ritrovato Filmfestival sind Archivierung, Restaurierung und Digitalisierung. Auch das Filmprogramm wird von Kenner*innen und Expert*innen kontextualisierend vorgestellt. Dabei werden nicht nur Filme ihrer Seltenheit wegen gezeigt, sondern auch Filme, die Einblicke in Geschichte und Politik geben. Es werden unter anderem Dokumentationen gezeigt, die sich mit den jungen Menschen von damals und ihrer ganz eigenen zeitspezifischen Wut befassen. Es werden Filme gezeigt, die damals wie heute auch als radikale Vertreter ihrer Bewegungen und Strömungen eingestuft werden. Und es werden die Hintergründe der berühmten Filme und ihrer Künstler*innen aufgedeckt. 

Das diesjährige Programm zeigte viele Beispiele für die Beziehung zwischen Kino und Geschichte. Das Kino wurde als Raum der Erfahrung gelesen, das uns Welten, Situationen und soziale Zusammenhänge in Vergangenheit wie Zukunft zeigt. Außerdem gab es viele Premieren, in denen die großen internationalen Zentren für Filmrestaurierung und -konservierung die besten ihrer Arbeiten zeigten, die oftmals nicht den etablierten Formaten entsprachen. Das Ergebnis war ein Programm, das uns von 1902 bis 1992 durch das zwanzigste Jahrhundert gemeinsam mit den bedeutendsten Kunstschaffenden dieser Zeit führte. 

Mit jedem neuen Festival gibt es bestimmte Schwerpunkte und Personen, die in den Mittelpunkt gerückt werden. Die Personen waren in unserem Jahr Erich von Stroheim und Sophia Loren, die noch heute als Symbol Italiens gilt. Es gab auch eine Ausstellung von Pasolini, der in Bologna geboren wurde, einer der wichtigsten Persönlichkeiten der italienischen Filmgeschichte ist, und daher ebenfalls eine wichtige Rolle innerhalb des Festival-Programms hatte. Thematische Schwerpunkte waren das jugoslawische Kino, SUPER8, 9.5MM & 16MM Filme, die zwischen 1964 und 2000 von deutschen Frauen produziert wurden, deutsche Musikkomödien aus den 30ern, Dokumentationen über das Filmemachen an sich, sowie 100 Jahre alte Filme. Zudem wurden Filme gezeigt, die vergessene Filmgenres wiederbelebten, die nie vollständig wieder zurückgekehrt sind, jedoch neue filmische Ausdrücke etablierten. Dies ist nur ein Teil der zentralen Punkte des Programms, der aber hoffentlich einen Eindruck davon vermitteln konnte, wie bunt sich das Programm des Festivals gestaltet.

Es waren überwältigende, visionäre Filme dabei, aber auch sehr, sehr wilde Filme und auch die vielen Stummfilme waren oftmals schwer zugänglich. Davon dürft ihr euch aber erst einmal nicht verunsichern lassen. – Es lohnt sich, sich mal drauf einzulassen, auch wenn ihr zunächst nicht alles versteht.